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Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter

des Zweiten Weltkriegs im Werk Haidhof der Maxhütte

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs gerieten viele Ereignisse schnell in Vergessenheit: Obwohl der Titel der 1967 erschienen Essaysammlung „Die Unfähigkeit zu trauern“ (Alexander und Margarete Mitscherlich) schnell zum geflügelten Wort wurde und die Generation der „APO“ um 1968 ihren Eltern gerade diese Verdrängung der jüngeren Vergangenheit entschieden zum Vorwurf machte, traf dies nur teilweise zu: Auch in den 50ern Jahren berichteten alle Zeitungen kontinuierlich über Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher. Allerdings waren diese Vorwürfe, sich nicht erinnern zu wollen, umgekehrt auch nicht völlig unbegründet. Eine breite Mehrheit der Nichtbetroffenen, Mitläufer und auch Tatbeteiligten verdrängte spätestens ab der Währungsreform 1948 und dem Ausbruch des Kalten Kriegs die Ereignisse der Jahre zwischen 1933 und 1945.

Auch in der Region um das Eisenwerk Maxhütte ging die Bereitschaft sich zu erinnern im Verlauf der Jahrzehnte verloren: 2001 musste die Stadtverwaltung in Maxhütte-Haidhof bei der Anfrage von ehemaligen russischen Zwangsarbeiterinnen, die ihre Kindheit während des Krieges in einem Lager der Maxhütte verbracht hatten, mitteilen, dass keinerlei Aufzeichnungen mehr existierten und sich auch Zeitzeugen nur noch an die bloße Existenz des Lagers erinnern konnten. Da sich diese Einrichtung auf Teublitzer Gemeindegebiet befunden hatte, wurde der Vorgang schließlich nach Teublitz abgegeben. Einige Jahre später machten zudem die Forschungsergebnisse der „Projektgruppe Zwangsarbeit“ deutlich, dass das Ausmaß der (zivilen) Zwangsarbeit für die Landwirtschaft, den Bergbau und die Industrie in unserer Region bis dahin bei weitem unterschätzt worden war. [1]

Das Projekt eines Gewerbegebietes „Teublitz Süd-Ost“ und Hinweise aus der Bevölkerung, dass sich hier im Krieg ein Lager für Zwangsarbeiter befand, führten schließlich zum Antrag der SPD-Stadtratsfraktion in Teublitz, die Geschichte des Geländes durch die Stadtverwaltung näher untersuchen zu lassen. Aufgrund verschiedener Anfragen an externe Einrichtungen (u.a. an die Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution (bis 2019: Internationaler Suchdienst, Bad Arolsen), KZ-Gedenkstätte Flossenbürg), durch eine Befragung von Zeitzeugen und der Auswertung der Stadtarchive im Städtedreieck lassen sich folgende Aussagen formulieren:

Die Feststellung verschiedener Zeitzeugen, dass in Teublitz ein Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter bestand, die in der Maxhütte arbeiteten, ist zutreffend. Aufgrund von Unterlagen, die vom früheren ISD (engl. ITS) in Bad Arolsen zur Verfügung gestellt wurden, bestand in der Maxhütte auf Teublitzer Territorium ein Außenlager des Stalag (Stammlager) 13A, in dem Kriegsgefangene verschiedener Nationen untergebracht waren. Organisatorisch wurden sie in verschiedene Arbeitskommandos unterteilt, die mit Hilfe von Zahlen unterschieden wurden. Dazu kam noch die Gruppe der „Zivilarbeiter“, bei denen es sich nach der heutigen Terminologie um Zwangsarbeiter handelte. Das Arbeitskommando (AK) 1070 umfasste belgische Kriegsgefangene, das AK 2445 Franzosen, das AK 12001 Italiener und das AK 313 russische Kriegsgefangene. In der Gemeinde Maxhütte gab es zusätzlich noch ein AK 303 mit Russen, die in der Schamotte bzw. dem dortigen Tagebau beschäftigt waren und ein AK 1004, das russische Offiziere umfasste, die für Holzvergasermotoren Brennholz bearbeiteten. Diese beiden Gruppen, die für die Schamotte arbeiteten, waren in Baracken in Rohrhof und auf dem Gelände der Gaststätte Neuwirtshaus bzw. Sauforst untergebracht. [2]

Insgesamt lassen sich aufgrund der Zahlen aus Bad Arolsen folgende Feststellungen treffen: Während des 2. Weltkriegs waren im Eisenwerk 60-100 Belgier, mindestens 80-120 Franzosen (wahrscheinlich sogar knapp 160), 100-130 Italiener, mindestens 50-400, möglicherweise sogar 550 russische Kriegsgefangene tätig. Die Feststellung genauerer Zahl erweist sich als schwierig, da z.B. ab September 1944 die italienischen Kriegsgefangenen als „freie Arbeiter“ bezeichnet wurden, also in den Status von Zwangsarbeitern überführt wurden. Aufgrund dieser veränderten Einstufung verringerte sich der Bewachungsaufwand, was sicherlich den Ausschlag für die Kategorieveränderung gab. Dazu kamen natürlich mindestens 103 polnische Zwangsarbeiter („Zivilarbeiter“), die sich hier von November 1944 bis Januar 1945 aufhielten und mindestens 50 russische Zwangsarbeiter. Polen wurden anscheinend vornehmlich beim Bau bzw. Ausbau der werkseigenen Wasserleitung eingesetzt.

Genauere Zahlen zu finden, erweist sich als schwierig. Die in Frage kommende Fachliteratur weist darauf hin, dass oft kranke Kriegsgefangene abgezogen wurden. Entsprechendes gilt natürlich auch für renitente Gefangene; anscheinend wechselten die Kriegsgefangenen doch häufig ihren Einsatzort. Um ein vollständiges Bild zu gewinnen, wäre es unerlässlich, eine entsprechende Personendatenbank der Lagerinsassen zu erstellen, was mit den vorhandenen Mitteln nicht möglich ist. Die noch vorhandenen Statistiken aus Bad Arolsen beweisen aber, dass kurz nach Kriegsende, als die Verwaltung des Eisenwerks und der Gemeinde Maxhütte im Auftrag der amerikanischen Militärregierung diese Unterlagen zusammenstellte, die entsprechenden Melde- oder Sozialversicherungsunterlagen noch vorhanden waren. Obwohl sich das Lager zweifelsfrei auf Teublitzer Gebiet befand, erfolgte die Verwaltung anscheinend ausschließlich durch die Gemeinde Maxhütte. In Bezug auf das Eisenwerk muss jedoch davon ausgegangen werden, dass bei einem Brand in der Haidhofer Verwaltung 1977, ein Jahr nach dem Verkauf der Maxhütte von der Flick-Gruppe an den Klöckner-Konzern, möglicherweise viele Akten verloren gingen (MZ vom 28.07.1977). Eine Anfrage an das Stadtarchiv in Sulzbach-Rosenberg führte nur zu einer Fehlanzeige, da sich auch hier kaum noch Unterlagen zum Werk Haidhof finden lassen. Bei der Beurteilung der noch vorhandenen Quellen sollte aus Sicht der historischen Quellenkritik immer berücksichtigt werden, dass es sich hier beinahe immer um Erinnerungen handelt, die erst nach Kriegsende aufgezeichnet wurden, also um sog. Traditionsquellen und keine Überreste, die vermutlich verlässlicher wären.

Unbestreitbar ist allerdings die Tatsache, dass es sich bei diesen Arbeitskommandos des Stalag 13A um keine KZ-Außenlager handelte. Auf diesen Punkt machte ein Vertreter der Gedenkstätte in Flossenbürg nach einer Anfrage ausdrücklich aufmerksam.

Nach Kriegsende wurden die vorhandenen Baracken des Kriegsgefangenenlagers zur Unterbringung von Heimatvertriebenen und zur Internierung von Wehrmachtsangehörigen durch die amerikanische Militärregierung genutzt. Der Tatsache, dass hier Flüchtlinge nach Kriegsende Quartier bezogen, verdanken wir weitere Erkenntnisse über das Lager, da W. Schoeder, der hier seine Kindheit verbrachte, dazu autobiographische Aufzeichnungen verfasste. [3] Zusätzlich äußerte er sich dazu auch per E-Mail: Laut seiner Aussage waren die Baracken der späteren Hugo-Geiger-Siedlung (damals nur Koppenlohe) die Luxusversion der Flüchtlingsunterbringung, die Baracken des Gefangenenlagers fielen demgegenüber qualitativ ab.

Die Massivbauten der Hugo-Geiger-Siedlung wurden im Übrigen erst in den Jahren 1947 und 1948 gebaut. Nach dem Auszug der heimatvertriebenen Familien wurden die Baracken bis zum Beginn der 60er Jahre noch für spanische Gastarbeiter verwendet, bevor sie endgültig abgerissen wurden. Teilweise erfolgte der Abbruch und Verkauf der Baracken, die sich im Besitz der Maxhütte befanden, aber auch schon in den 50ern, wie einem Immobilienverzeichnis des Eisenwerks zu entnehmen ist. In Teublitz und in der Gemeinde Maxhütte (erst ab 1956 Maxhütte-Haidhof) sollte der Umfang der Barackenunterkünfte in der Nachkriegszeit keinesfalls unterschätzt werden. In einer Liste mit Wegzügen aus Teublitz vom 01.04.1948 finden sich z.B. als Adressangaben folgende Einträge: Neues Lager, Flü-Lager, G-Lager, Neue Baracke, Baracke 4 oder auch nur Baracke. Eine eindeutige Zuordnung ist aus heutiger Sicht nicht mehr möglich, aber beim G-Lager handelte es sich entweder um das frühere Kriegsgefangenenlager oder zumindest um den nach Kriegsende abgetrennten Teil, in dem jetzt deutsche Kriegsgefangene interniert wurden. [4]

Weitere Aufschlüsse zum Lager ergaben sich auch durch ein Zeitzeugeninterview von Ewald Frieser (geb. 1933), das vom Teublitzer Geschäftsleiter Franz Härtl geführt wurde. Nach seiner Aussage war das Areal mit Stacheldraht gesichert, wurde aber nur von sechs deutschen Wachleuten überwacht. Diese waren entweder kriegsversehrt oder für den Wehrdienst zu alt. [5] Es bestand eine Gemeinschaftsverpflegung bzw. Kantine für die Gefangenen. Zusätzlich durften die Lagerinsassen nach seiner Aussage begrenzt Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung aufnehmen und Handel betreiben (etwa Brot gegen selbstgefertigtes Spielzeug). Die Werksleitung gab für gute Arbeitsleistungen auch Gutscheine aus, mit denen in den umliegenden Wirtshäusern Bier gekauft werden konnte. Der Umstand, dass nur eine ganz kleine Wachmannschaft zur Verfügung stand, lässt sich vielleicht auch dadurch erklären, dass gerade den meisten russischen Gefangenen bewusst war, im stalinistischen System nach Kriegsende wegen Feigheit bestraft zu werden. A. Solschenizyn verarbeitete dieses Motiv in seinen antistalinistischen Romanen. Die Tatsache, dass bei der Bewachung kein extremer Aufwand betrieben wurde, beweist die Flucht von 20 tschechischen Zwangsarbeitern kurz vor Kriegsende. Bei französischen Gefangenen findet sich allerdings häufiger der Eintrag „geflohen“. Franzosen widersetzten sich offenkundig diesem System der Zwangsarbeit heftiger als Angehörige der anderen Nationen.

Hinweise zu den sozialen Kontakten zwischen den Lagerinsassen und der Bevölkerung liefert eine „Kaninchenaffäre“, die sich im Stadtarchiv Teublitz erhalten hat. Dem Teublitzer Flurwächter war aufgefallen, dass die Gefangenen Futter für Kaninchen angeblich illegal ernteten. Aufgrund von Ermittlungen der NSDAP-Kreisleitung in Schwandorf kam heraus, dass ein Teublitzer das oder die Kaninchen an die belgischen und französischen Kriegsgefangenen verkauft hatte, nachdem diese nicht locker gelassen hatten und ihn auch zu Hause aufgesucht hatten. Obwohl der Bericht feststellte: „… es ist verwerflich, dass deutsche Volksgenossen an Gefangene Kaninchen verkaufen …“, konnte sich der Betroffene dadurch herausreden, dass er von der Unrechtmäßigkeit seines Tuns nichts wissen konnte. Da die Sache nur bis zur Kreisleitung nach Schwandorf, aber nicht zur Gestapo nach Regensburg ging, verlief die Affäre anscheinend im Sande. Immerhin wird hier deutlich, dass die Kriegsgefangenen (zumindest die belgischen) über Bargeld verfügten, Kontakte mit der Bevölkerung pflegten und eine relativ große Bewegungsfreiheit genossen, da sie den Verkäufer des Kaninchens daheim in seiner Wohnung aufsuchen konnten.

Ein anderer Belgier, Gilbert-Bernard Gerard, kehrte z.B. am 07.07.1945 nach Teublitz zurück, weil er mit einer (verheirateten) Teublitzerin eine Liebesbeziehung eingegangen war. Die Eheschließung fand schließlich am 03.06.1950 in Teublitz statt, als Berufsbezeichnung trug der Standesbeamte bei ihm „Maurer“ ein. Bei beiden war es die zweite Ehe. Anscheinend war bei ihm die Angst vor einer Fortsetzung seiner ersten Ehe in Belgien ausgeprägter als die Furcht vor den Deutschen, auch bei seiner späteren Ehegattin führte diese Liaison während des Krieges zur Scheidung. Nach der Eheschließung verzog das Paar 1951 nach Belgien.

Zwischenmenschliche Kontakte waren also möglich, obwohl solche zumindest bei Polen und Russen zu Gefängnisstrafen, KZ-Einlieferungen und Hinrichtungen führen konnten. Selbstredend wurden auch die beteiligten deutschen Frauen dafür bestraft. Anny Blechschmidt aus Burglengenfeld, die als Kranführerin in der Maxhütte arbeitete, wurde 1944 zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie eine private Beziehung zu einem Belgier unterhielt. Ihr Denunziant, Josef Pielmeier, wurde in der Anzeige nach Kriegsende als enthusiastischer SA-Mann beschrieben, der sich sprichwörtlich mit seiner Uniform ins Bett zu legen pflegte.

Im Verlauf des Krieges entwickelte sich der Austausch zwischen den Gefangenen und Einheimischen immer mehr zu einem Risiko: Georg Schlangenhaufer, der Russen Brot geschenkt hatte, wurde denunziert und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Durch die Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25.11.1939 waren die gesetzlichen Grundlagen für derartige Strafaktionen wegen Kollaboration gelegt worden. [6] Verantwortlich für die Verurteilung waren der Ing. Walter Steininger und ein Arbeitskollege aus Rappenbügl, die Anzeige erstattet hatten. Bereits im Vorfeld hatte es Vorwürfe gegeben, dass Schlangenhaufer zu wenig für das Winterhilfswerk gespendet hatte. Steininger wurde nach Kriegsende gegenüber den Amerikanern folgendermaßen beschrieben: „A very tough Nazi, a hater of the prisoners of war. He has beaten them and he also brought German comrades into the concentration-camp.“

Aussagen, wie gut oder schlecht die Behandlung der Kriegsgefangenen ausfiel, sind aufgrund der wenigen zeitgenössischen Quellen nur anhand anderer Parameter, beispielsweise der Todesrate, möglich. Wie gesagt, ein Großteil der Aussagen wurde erst nach Kriegsende durch amerikanische Befragungen niedergeschrieben. Leider gibt es auch hier keine konkreten Zahlen, da kranke Gefangene oft  in andere Lager verlegt wurden. Obwohl die Werksleitung der Maxhütte angesichts des hohen Krankenstandes unterstellte, dass es sich hier weitgehend um Blaumacher handelte, legen die relativ schlechte Ernährung, die gedrängte Unterbringung und die ungenügenden Heizungsmöglichkeiten der Baracken eine andere Erklärung nahe. Auch die Tatsache, dass die Gemeinde Maxhütte auf Befehl der Amerikaner den Gefangenen Schuhe (Stiefel und Halbschuhe) kaufen musste, zeigt, [7] dass die Versorgung nicht optimal war.

Auch die medizinische Behandlung sollte nicht überschätzt werden. Dr. Senft, der spätere Bürgermeister von Meßnerskreith versorgte nicht nur die Bevölkerung von Maxhütte, Teublitz und der umliegenden Ortschaften, sondern auch die Kriegsgefangenen. Obwohl er in einem Bericht der Burglengenfelder Zeitung (BZ) vom 04.12.1963 als „Vater der Kriegsgefangenen“ bezeichnet wurde, sollte seine medizinische Betreuung aufgrund der Vielzahl seiner Patienten nicht überschätzt werden.  Der Hinweis der Zeitungsmeldung von 1963 beweist immerhin, dass damals das Wissen um die Anwesenheit von Kriegsgefangenen im 2. Weltkrieg in der Öffentlichkeit noch präsent war. Der Artikel ging davon aus, dass sich während des Kriegs 1400 Kriegsgefangene in der Maxhütte und Schamotte befunden hatten.

Eine russische Zwangsarbeiterin berichtete zusätzlich, dass auch ein ukrainischer Arzt zur Verfügung stand und sie im Kreiskrankenhaus in Burglengenfeld als Kind behandelt wurde. Dies erscheint glaubhaft, da auch ein Kriegsgefangener der Schamotte in Maxhütte, der bei einem amerikanischen Tieffliegerangriff schwer verwundet wurde, im Burglengenfelder Spital verstarb. Dieser Todesfall wurde auch im Standesamt Burglengenfeld beurkundet. Amerikanische Tieffliegerangriffe, die in den letzten Kriegswochen erfolgten, sind in den Stadtarchiven von Maxhütte-Haidhof und Burglengenfeld und durch spätere Zeitzeugenaussagen dokumentiert. Angriffsziele waren die Bahnhöfe in Haidhof und Ponholz bzw. Züge und das Gelände der Schamotte. Alleine bei der Schamotte (Rohrhof) verloren wahrscheinlich ca. zehn russische Kriegsgefangene ihr Leben. [8]

Zur Ernährung liefert ein Schreiben der Werksleitung kurz vor Kriegsende Hinweise: Die Lagerinsassen bekamen Fleisch, allerdings nur von der Freibank in Schwandorf, die nach der Bombardierung der Stadt natürlich nicht mehr liefern konnte. Als Gemüse standen nur Rüben (Dorschen) zur Verfügung, die anscheinend getrocknet aus Rosenberg geliefert wurden. Hier war eine Trocknungsanlage gebaut worden, um die Lebensmittelversorgung der Gefangenen zu verbessern. [9]

Insgesamt sind nur wenige Todesfälle dokumentiert, was auch daran liegen könnte, das das zuständige Standesamt diese nicht in allen Fällen beurkundete. Bekannt ist, dass der Ukrainer Johann Mikus am 11.01.1945 am Bahnhof („Verladebahnhof“) in Teublitz einem Unfall zum Opfer fiel. Dieses Unglück wurde allerdings in Teublitz am 13.01.1945 standesamtlich beurkundet. Ein belgischer Zwangsarbeiter ertrank in Ramspau beim Baden im Regen. Zusätzlich ist ein Selbstmord bekannt. Roman Kowal aus der UdSSR setzte seinem Leben ein Ende, als er sich am 09.01.1944 in Loisnitz vor einen Zug warf. Der Badeunfall zeigt übrigens erneut auf, dass zumindest die westeuropäischen Lagerinsassen vermutlich über relativ große Bewegungsfreiheit verfügten. Insgesamt werden in einer Liste der Gemeindeverwaltung Maxhütte vom 15.08.1946 sieben Beerdigungen von Russen benannt, die auf dem Friedhof in Maxhütte stattfanden: Drei Gefangene starben durch Erschießung, zwei wurden durch Tieffliegerangriffe getötet und ein Gefangener tötete sich selbst.

Auch ein „Merkblatt für die allgemeinen Bedingungen, die für den Arbeitseinsatz von kriegsgefangenen Arbeitskräften Geltung haben“ und sich im Archiv der Altgemeinde Münchshofen vorfand, [10] legte Wert auf eine angemessene Behandlung der Arbeitskräfte. Obwohl es für das Stammlager XIII c in Hammelburg verfasst worden war, wurde es anscheinend auch in der Oberpfalz verwendet. Bei den Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Ruhezeit) wurde festgestellt, dass die Betroffenen genauso wie deutsche Arbeitskräfte behandelt werden sollten. Ausdrücklich hieß es: „Die gewährten Leistungen [bei Unterkunft und Verpflegung] müssen gut und ausreichend sein.“ Es bestand eine Berichtspflicht bei Arbeitsunfällen oder Ausfällen, anscheinend um die Unternehmen kontrollieren zu können. Außer russischen Gefangenen, die ganz offensichtlich schlechter gestellt wurden, mussten alle übrigen bei der Unfallversicherung angemeldet werden. Bestrafungen waren verboten: „Weder der Arbeitgeber, noch seine Angehörigen, noch seine Gefolgschaftsmitglieder sind zu irgendwelchen Strafmaßnahmen gegenüber den Kriegsgefangenen berechtigt.“

Vergleicht man allerdings diese Befunde mit den Zeugenaussagen, die nach Kriegsende von den Amerikanern erfasst wurden, kommt man zu einem anderen Bild: Treffen die hier gemachten Anschuldigungen zu, dann wurden die Gefangenen übel schikaniert. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich viele der Zeugen mit ihren Aussagen bei den Amerikanern Vorteile verschaffen wollten oder sie aufgrund ihrer Präferenz für die KPD entschiedene Nachteile im Dritten Reich erlitten hatten, sollte eines klar sein: Die Werksleitung der Maxhütte (Direktor Vogel, Ing. Steininger) bestand größtenteils aus überzeugten Nationalsozialisten, die sich vornehmlich über die Stahlhelm-Bewegung der NSDAP angenähert hatten. [11] V.a. Direktor Herbert Vogel (geb. 1898, seit 1936 Betriebsdirektor in Haidhof), [12] „a very tough Nazi“, erwies sich als Scharfmacher, der aufgrund seiner ideologischen, rassistischen Fixierung für die Kriegsgefangenen kein Mitgefühl aufbrachte. Freundlichen Umgang mit Kriegsgefangenen wertete er als „Gefühlsduselei“. [13]

Einen Arbeiter, der Kontakte zu den Gefangenen unterhielt und ihnen Tabak überließ, brachte er ins Gefängnis, da dieser widersprach, was zu einem Wortwechsel führte. So machte der Untergebene den Vorschlag, dass ein bewährter Frontoffizier des 1. Weltkriegs wie Direktor Vogel auch jetzt besser an der Front aufgehoben wäre, was als Insubordination, ungebührliches Benehmen und Aufsässigkeit gewertet wurde. Ein Mitglied der Zeugen Jehovas, Johann Koller, der Hitlers Kriegspolitik offen kritisierte („… daß die Handlungen der Nazis so gar nicht mit dem Bibeltext übereinstimmen“), landete dafür im KZ.

Inwieweit der Vorwurf “We are on the point of view, that seldom another factory in Germany has suffered so much under so worst conditions as the workers of the iron-factory Maxhütte“ berechtigt war, ist schwierig zu beurteilen. Obwohl die Werksleitung in Haidhof vornehmlich aus überzeugten Parteimitgliedern bestand, gab es Ausnahmen, wie die Biographie des von den Amerikanern in Maxhütte eingesetzten Bürgermeisters Martin Hofmann zeigt. Hofmanns Lebenslauf - von 1925-1929 war er für die BVP 2. Bürgermeister in Ibenthann (Maxhütte), im Dritten Reich arbeitete er als Buchhalter für die Betriebskrankenkasse der Maxhütte – weist darauf hin, dass die NSDAP nicht in allen Fällen eine vollständig homogene Organisation darstellte. Obwohl Kriegsteilnehmer im 1. Weltkrieg und später „PG“ war er 1933 wegen seiner katholischen Überzeugung verfolgt und in Schutzhaft genommen worden. V.a. die Teilnahme an Fronleichnamsprozessionen wurde ihm im Krieg verübelt. In der Augen der Arbeiterbewegung („die schaffende Menschheit des Eisenwerkes“) war er allerdings ein „Wolf im Schafspelz“, der sich durch „Arbeiterschinderei“ und „Gefangenenunterdrückung“ hervorgetan hatte.

In einer Liste mit neun Personen, darunter natürlich auch die bereits erwähnten Vogel und Steininger, die im Mai 1945 von den Amerikanern verhaftet werden sollten, fiel auch der Name Bleimann: „He accused prisoners of war and also Germans. Often the prisoners had to work without food.“ Auch beim Eintrag zu Gibale aus Maxhütte lautete die Beschuldigung: „He formerly oppressed the prisoners of war. „Auf deutsch lautete der Eintrag: “Gefangenenschinder und Prügler.” Zu beachten ist dabei allerdings, dass diese Beschuldigungen anscheinend von der Kommunistischen Partei in Maxhütte ausgingen.

Angeblich kritisierte sogar die Gestapo die schlechte Behandlung der Gefangenen in Sulzbach-Rosenberg. [14] Allerdings schickte Direktor Vogel in Haidhof die Gestapo immer wieder in die Unterkunft der russischen Kriegsgefangenen, was angeblich zu Prügelstrafen und Verhaftungen, zu Erschießungen und möglicherweise auch zu Selbstmorden führte. [15] Da es in der Schamotte in Maxhütte-Haidhof üblich war, dass die Verantwortlichen alle 14 Tage in Regensburg bei der Gestapo Bericht erstatteten, [16] sollte dieses Verfahren auch bei der Maxhütte angenommen werden. Für das Jahr 1944 wurden bei der von den Amerikanern angeordneten Erhebung mindestens drei Fälle aufgezeichnet, bei denen Russen erschossen worden waren. [17] Auch bei der Schamotte lautete am 31.01.1944 ein Eintrag „auf der Flucht erschossen“ und am 10.10.1944: „wegen Widerstand erschossen.“ Zusätzliche Unterlagen stehen zu diesen Vorfällen nicht mehr zur Verfügung, da die Werksleitung in Haidhof kurz vor Kriegsende alle Geheimakten der Partei und der Gestapo vernichten ließ. Diese Aktenvernichtung teilte die Haidhofer Werksleitung der Zentrale in Sulzbach-Rosenberg am 17.04.1945 mit, wobei die Nachricht nur noch per Fahrradboten übermittelt werden konnte. Der Empfänger in Sulzbach-Rosenberg vermerkte dazu handschriftlich: „richtig!“ [18]

Auch die veröffentlichten Ergebnisse in der wissenschaftlichen Literatur bestätigen diese widersprüchliche Einschätzung. Eindeutige Aussagen können wegen der oft nicht mehr vorhandenen Quellen kaum getroffen werden. Belegt ist allerdings, dass es bei den Gefangenen eine Hierarchie der verschiedenen Nationen gab: Angehörige der westeuropäischen Nationen wurden immer besser behandelt als Polen und v.a. Russen.

Bücher über Dr. Friedrich Flick (1883-1972) liefern aber inzwischen ein differenziertes Bild:  Obwohl sich der  durch Spekulationsgeschäfte reich gewordene Industrielle in allen Phasen seiner Karriere als genialer Intrigant erwiesen hatte, sollte sein politischer Einfluss im Dritten Reich nicht überschätzt werden. Ihm gelang es z.B. nicht, die Stammbelegschaft seiner Werke „uk“ (unabkömmlich) stellen zu lassen oder bei entsprechenden Anfragen an die Arbeitsämter genügend Zwangsarbeiter zu bekommen. Anscheinend genoss die Landwirtschaft bzw. die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sogar Vorrang vor der kriegswichtigen Industrie, da hier Kriegsgefangene bevorzugt eingesetzt wurden. [19] Normalerweise waren zwei Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene und weitere Schulungen notwendig, um einen Facharbeiter zu ersetzen. Die Gewinnspanne bei Rüstungsgeschäften blieb ganz offensichtlich gering, aber bei Flick verband sich damit die Hoffnung, nach Kriegsende sofort auf eine zivile Produktion umstellen zu können. Dies hätte dann hohe Profite versprochen.

Flick unterschied sich in einem wichtigen Punkt von den Ruhrbaronen oder anderen deutschen Industriellen. Im Gegensatz zu ihnen strebte er keine politische Macht oder öffentlichen Einfluss, z.B. durch den Besitz von einflussreichen Tageszeitungen an. Ihm genügte es, irgendwann zum reichsten Mann Deutschlands zu werden. Obwohl über sein Privatleben nur wenig bekannt ist, zeichnete er sich anscheinend nicht durch einen grotesk übertriebenen, luxuriösen Lebensstil aus. Bloßer Reichtum war ihm Ansporn genug, ein Leben lang das zu tun, was er am besten konnte: Vorteilhafte Geschäfte abzuschließen, die ihn immer reicher machten. Mit dem Vorwurf der etablierten Elite, nur ein überehrgeiziger Emporkömmling und Spekulant zu sein, konnte er anscheinend gut leben. Bereits im 2. Weltkrieg wirkte er wie aus der Zeit gefallen, da er in seiner Person ein Unternehmertum wie im 19. Jahrhundert verkörperte. [20]

Als begabter Manager wusste Flick natürlich, dass ein hoher Bewachungsaufwand ein betriebswirtschaftliches Risiko darstellte. Aus diesem Grund lehnte die Maxhütte anscheinend auch „Strafkommandos“ (mit jeweils 200 Gefangenen) ab, die noch zur Verfügung gestanden wären. Allerdings ließen sich bei der Bewachung Investitionen auf diesem Gebiet kaum vermeiden, da die Ausländerquote im Krieg bei der Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg im August 1942 auf ca. 35 Prozent und 1944 auf 50 Prozent gestiegen war. In Haidhof bestand im Sommer 1944 die Belegschaft zu ca. 40 Prozent aus Ausländern. [21] Obwohl es in Sachsen im Februar 1945 anscheinend zu einem Aufstand der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen kam, ist eine solche Aktion für Bayern nicht dokumentiert. [22]

Eine abschließende Bewertung fällt schwer, gerade weil sich die die zur Verfügung stehenden Quellen vor und nach Kriegsende zum Teil entschieden widersprechen. Insgesamt kann aber davon ausgegangen werden, dass es sich beim Lager der Maxhütte in Teublitz nicht um eine KZ-ähnliche Einrichtung handelte. Dies bedeutet aber umgekehrt nicht, dass die Betroffenen immer fair und anständig behandelt wurden oder den Zwangsarbeitern angemessene Löhne für ihre Arbeitsleistungen bezahlt worden wären. Ob und wie das begangene Unrecht (standrechtliche Erschießungen) jemals gesühnt wurde, müsste noch näher untersucht werden.

 

Text: Dr. Thomas Barth, Stadtarchiv Teublitz

Quellen: Auskunft der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Arolsen Archives / Stadtarchive in Teublitz, Burglengenfeld und Maxhütte-Haidhof

Literatur: Bähr, Johannes u.a.: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. München 2008 / Frei, Norbert: Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht. München 2009 / Priemel, Kim Christian: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Göttingen 2007

Einzelnachweise

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